Axel Bosse
“Ich glaube, dass Musik – und das ist auch einer der Gründe, warum ich gesellschaftlicher und politischer werden wollte – ein Kommunikator ist und die Leute verbindet.“
Heiter bis wolkig! Er bringt uns zum Tanzen, zum Weinen und zum Nachdenken: Mit seinem neuen Album “Sunnyside” bewegt uns Axel Bosse im wahrsten Sinne des Wortes – ganz egal, ob er nur unser Tanzbein oder gleich unser ganzes Gedankenkarussell in Schwung bringt. Dabei schafft er es, irgendwo zwischen Melancholie und Optimismus, zwischen Tiefgang und Oberfläche, den aktuellen Vibe unserer Zeit in Worte und Melodien zu fassen und setzt seine Stimme für die Dinge ein, die ihm am Herzen liegen. In unserem Interview verrät der Wahlhamburger, wo er nach Inspirationen für seine Songs sucht, wann er seinen Flow findet und wie er die aktuelle Wetterlage in unserer Gesellschaft bewertet…
„Sunnyside“ erscheint in einer Zeit, in sich nicht gerade von ihrer strahlendsten Seite zeigt. Welche Message möchtest du mit deinem Album vermitteln?
Das ist die schwierigste Frage der Welt, weil das Album ganz schön viel will und manchmal auch ganz schön wenig. Ich wollte Gesellschaft, ich wollte Politik, aber Musik ist auch Unterhaltung. Das darf man nicht vergessen. Ich muss ich mich selbst auch immer wieder daran erinnern, weil ich in die 3 Minuten und 30 Sekunden am liebsten alles reinlegen will, was mich gerade berührt, was mich ankickt. Deswegen macht das Album sicherlich hier und da einen Vorschlag für unsere Gesellschaft, aber es geht auch um Tiefe, es geht um Kraftlosigkeit, es geht darum, von der Dunkelheit ins Helle zu kommen wie auf „Sunnyside“. Es gibt aber auch hier und da mal ein Lied, da geht’s nur ums Saufen. Das Album hat also nicht nur ein Ziel, sondern es sind 14 Songs, die ganz unterschiedlich sind, aber zusammen hoffentlich Sinn machen. Und, was das Album dann bewirkt, das sagen mir eigentlich erst die Menschen, die es hören. Manchmal schreiben mir Leute, dass sie eine schwere Krankheit mit einem Song durchgestanden haben, andere haben Kinder gezeugt, es wurden Beziehungen gekittet oder es wurde eben einfach nur dazu getanzt. Dann fängt es für mich an, Sinn zu machen.
Wann und wie kommen dir die Inspirationen und Ideen für deine Songs?
Eigentlich die ganze Zeit. Es ist bei mir nicht so, dass ich sage, so jetzt setze ich mich hin und jetzt mache ich mal ein Album, sondern ich mache eigentlich die ganze Zeit Musik. Wenn ich schreibe, dann habe ich natürlich auch eine hohe Erwartungshaltung an mich, denn ich möchte schon schlau sein, ich möchte gute Bilder finden, ich möchte auch direkt sein, nicht so verschwurbelt. Wenn mich was interessiert, dann setze ich mich hin und schreibe darüber einen Song und hoffe, dass der gut ist. Ich finde, es gibt es genug Sachen, über die man singen soll und kann. Das Wichtigste ist eigentlich, erstmal herauszufinden, warum man das macht, und wenn man das hat, dann geht’s eigentlich ganz leicht.
Und was ist dein Warum?
Es braucht eine Dringlichkeit. Das ist bei mir immer das Wichtigste, außer ich mache ein Sauflied. Wenn ich zum Beispiel den Satz auf dem Zettel habe: „Ey, wir schießen uns hinter den Mond“, dann weiß ich, das wird jetzt ein Sauflied, das will auch gar nicht mehr. Und bei so einem Song wie „Sunnyside“ zum Beispiel weiß ich von vornherein, dass ich einen Song schreiben möchte, weil ich es selbst interessant finde, darüber zu singen, wie das so ist nach dem Schmerz, nach der Krankheit, nach der Depression dazustehen und sich die Welt mit anderen Augen anzugucken.
„Der letzte Tanz“ war Ende letzten Jahres der erste Vorgeschmack auf das Album und erzählt davon, wie wichtig es ist, den Moment zu leben. Was denkst du, warum sind wir in der heutigen Zeit so selten im Hier & Jetzt?
Ich glaube, den Leuten fällt das total schwer. Manchmal, ich kann nur von mir reden, fällt es mir aber plötzlich total leicht, wenn irgendetwas Heftiges passiert. Also, wenn ich kurz vorm Abschied bin, weil meine beste Freundin für eineinhalb Jahre nach Kanada geht, dann passiert folgendes: Alles, was ich dann mit ihr mache, das genieße ich, und alles, was ich mit ihr gemacht habt, das vermisse ich schon. Da kommt man an den Punkt, an dem man sich fragt: Wieso kriegt man das nicht immer hin? Die Antwort ist: Weil es eben total viel ist, weil es mega prasselt! Wie soll man es schaffen, den Augenblick immer zu genießen, wenn man’s doch gerade so durch den Tag schafft? Ich glaube aber, dass Dinge wie Schmerz, Trauer oder körperliche Probleme die Menschen dazu bringen, zu merken, wie fragil alles ist, und sie sich dann wieder auf ihre Top 5 Sachen besinnen, die ihnen wichtig sind, und diese dann wieder genießen.
Was machst du selbst, um ins Hier & Jetzt zu kommen, wann bist du im Flow? Beim Musikmachen?
Manchmal schaffe ich es noch, ganz entspannt Musik zu machen, wobei Musik für mich auch total anstrengend sein kann. Da geht’s aber auch wieder um die eigene Erwartungshaltung, wenn zum Beispiel das Album fertig werden muss. Dann sind es für mich eher so Sachen wie Sport, Joggen, gute Leute, Essen, Runterkommen. In Hochzeiten habe ich manchmal das Gefühl, dass es so viel ist, dass es dann wirklich so ballert, dass ich die ganzen Sachen, die ich erlebe, gar nicht richtig erfassen kann – die Drucksituationen, die Freude, die Euphorie, total müde, mega angeschlagen, alles das, was man eben durchlebt, wenn man so einen Beruf hat. Manchmal realisiere ich erst nach ‘nem halben Jahr, wenn ich dann wirklich mal zwei Wochen gar nichts habe, was ich überhaupt alles erlebt hab. Ich würde mir daher schon manchmal wünschen, den Moment mehr greifen zu können, aber das geht eben leider nicht immer.
Mit deinem Album gelingt dir auf jeden Fall eine politische Momentaufnahme unserer Zeit. In „Blumen über Dreck“ geht es zum Beispiel um die Probleme der heutigen Gesellschaft. Was würdest du sagen, woran mangelt es uns am meisten?
Ich glaube, das absolute A und O ist Kommunikation! Es gibt diese verschiedenen Bubbles – nicht nur im Internet, sondern auch im ganz normalen alltäglichen Leben. Da hat man manchmal das Gefühl, dass es so unüberwindbare Differenzen und Welten gibt, dass man sich fragt, wie das alles wieder zusammenkommen soll. Aber wenn es darum geht, Sachen zu ändern, Sachen zu verstehen und Sachen zu bewegen, dann ist es immer noch das Wichtigste, mit den Leuten zu sprechen und auch mit politischen Gegnerinnen und Gegnern ins Gespräch zu kommen, deren Geschichte zu verstehen und zuzuhören. Das geht vor allem an die Politikerinnen und Politiker! Dann gibt es da aber auch diesen intellektuellen Hipster-Kreis auf der einen und auf der anderen Seite eine Arbeiterschicht, die dort verpönt ist. Niemand ist mehr füreinander da und niemand springt mehr für den anderen ein. Was ich mir so oft wünschen würde ist, dass Kommunikation vor allem auch bedeutet, dass man sich auf Leute einlässt und hilfsbereit ist, um sie vielleicht auch überzeugen zu können.
Ich finde, dass Musik und auch meine Musik, dort einen Auftrag hat. Ich bin ja keine Punk-Band, die nur von einer bestimmten Szene gehört wird, sondern meine Musik ist total offen für alle und meine Konzerte sind bunt durchmischt. Ich habe viele Studentinnen und Studenten, Leuten, die mit ihren Kindern kommen, aber auch ganz normale Arbeiter, die 55 sind und einfach Bock aufs Konzert haben, weil sie den Song mal im Radio gehört haben. Ich glaube, dass Musik – und das ist auch einer der Gründe, warum ich gesellschaftlicher und politischer werden wollte – ein Kommunikator ist und die Leute verbindet.
In „Das Paradies“ besingst du deine Utopie von einer idealen Welt. Was würdest du dir neben mehr Kommunikation noch für unsere Gesellschaft wünschen?
Wir brauchen Klimaschutz, wir brauchen Kommunikation und was wir auch brauchen, ist eine Fehlerkultur. Ich würde mir wünschen, dass es in Ordnung ist, dass man Fehler macht und dass man sich ändert, ohne dass immer gleich Tausend Leute auf einen einkloppen und man durch das Netz getrieben wird. Ich finde, es müsste cool sein, zu sagen: Da ist ein Fehler passiert und den gestehe ich ein. Ich entschuldige mich und ich habe gelernt. Sowas wäre toll, gerade von Leuten, die eine große Followerschaft haben.
Das Album ist nicht nur politisch, sondern auch sehr persönlich. Unter anderem gibt es ein sehr bewegendes Lied über deinen Vater. Was hat dir den Anstoß dazu gegeben, den Song zu schreiben?
Der Anstoß, einen Song für meinen Vater zu schreiben, war, dass ich eigentlich in diesem Lockdownjahr mit ihm ganz viel unternehmen wollte. Ich hatte mir so ‘ne kleine Bucketlist aufgeschrieben und wollte zum Beispiel gerne mit ihm nach England in ein altes Stadion und dort Fußball gucken. Das ging wegen des Lockdowns nicht und da hab ich dann den Song geschrieben. Mein Vater ist zwar noch richtig fit, aber eben auch schon alt. Meine Frau ist Trauerbegleiterin für Kinder und bei ihr beruflich geht es sehr, sehr viel ums Thema Abschied und Tod. Es geht darum, den richtigen Zeitpunkt zu finden, noch mal ein paar Sachen auf den Punkt zu bringen, bevor jemand zu alt ist oder bevor es eben plötzlich vorbei ist. Genau darauf hin habe ich diesen Song geschrieben – mit ein paar Erinnerungssplittern und einem Danke.
Was ist der beste Rat, den du von deinem Vater bekommen hast?
Meine Eltern haben zwei Sachen echt richtig gut gemacht: Sie haben immer losgelassen und waren trotzdem da. Das ist, glaube ich, der beste Tipp, den ich jetzt auch bei meiner Tochter anwende – und ich weiß, wie schwierig das ist, loszulassen, jemand wachsen zu sehen und nicht zu stark zu lieben, aber trotzdem insgeheim viel zu krass zu lieben.
Und mein Vater hat mir auch eine mutige Herangehensweise ans Scheitern gezeigt. Irgendwann hat bei mir dieser Punk eingesetzt, dass mir wirklich scheißegal ist, was die Leute von mir denken. Seitdem kann ich ganz befreit wie ein Vollidiot auf der Bühne tanzen, alles vollschwitzen und ich glaube, das habe ich von ihm gelernt.
Zum Stichwort “befreit” passt auch dein Song „Vorfreude“, der den aktuellen Zustand nach dem zweiten Lockdown, wo langsam wieder mehr möglich wird, gut auf den Punkt bringt. Worauf freust du dich in der kommenden Zeit am meisten?
Also, ich habe so viele Sache schon abgearbeitet: Ich habe meine Eltern endlich wiedergesehen, ich hab ein paar Konzerte gespielt, aber ich glaube, ich freue mich am allermeisten drauf – wenn es irgendwann überhaupt noch mal so sein kann –, dass man einfach nur vor, sagen wir mal, 1000 Leuten spielt, die ganz normal dastehen, sich anschwitzen und antanzen können. Das wäre schon ein Traum.
Zum Reinhören, Tanzen und Mitsingen…
Tanzbar und tiefsinnig: Mit “Sunnyside” bringt Bosse sein achtes Studioalbum an den Start und schafft gekonnt den Spagat zwischen lässigem Sound und Texten mit Tiefgang. Zwischen Synthesizer, Drumloops, Basslines und Gitarren-Tunes zeigt Bosse mehr Haltung denn je und traut sich, noch mehr über sich und seine Liebsten zu erzählen. Er beschäftigt sich mit den großen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit und nimmt uns mit in seine ganz private Gefühlswelt. Es geht um die Aufarbeitung der eigenen Gemütslage und die Notwendigkeit, Verantwortung für unser Tun in der Gesellschaft zu übernehmen, was Bosse uns nicht nur mit seiner Musik vorlebt…
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Fotos: © Marco Sensche, © Shanti Tan, © Stefan Mückner
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