Ganz
intim…
…wird’s bei unserem Talk mit Frauenärztin Dr. Verena Breitenbach, die mit Mythen über den weiblichen Körper aufräumt und erklärt, warum der kleine Unterschied zwischen Mann und Frau größer ist als gedacht
Frauenärztin Dr. Verena Breitenbach weiß aus ihrer Praxis: Unter der Gürtellinie liegt noch immer viel im Dunkeln, selbst für uns Frauen. Gibt es einen vaginalen Orgasmus? Was hilft bei Periodenschmerzen? Bei welchen Beschwerden sollte ich zum Frauenarzt? All diese Fragen beantwortet die Gynäkologin und Autorin (“Ganz intim”, Trias Verlag) in unserem Interview und verrät, was es hinter dem Venushügel sonst noch zu entdecken gibt…
Sind wir Frauen wirklich das schwächere Geschlecht?
Ich denke, Frauen sind eher das stärkere Geschlecht. Es gibt auch neue Studien, die belegen, dass Frauen auf Langzeit belastbarer sind als Männer. Allein eine Schwangerschaft und eine Geburt zu schaffen, ist eine gigantische Leistung. Auch mit Kindern sind Frauen über eine ganz lange Phase gefordert und müssen daher sehr belastbar sein. Natürlich gibt es auch Dinge, die Frauen nicht so gut wegstecken, aber was die Langzeitbelastung angeht, sind sie ganz klar vor den Männern.
Was sind die größten Unterschiede zwischen Frauen und Männern aus medizinischer Sicht?
Weil die meisten Arzneimittel an Männern getestet werden, da es risikoärmer ist – eine Frau könnte ja während der Testphase schwanger werden – hat man erst spät festgestellt, dass die Medizin tatsächlich genderspezifisch ist und dass sich die Studien an Männern gar nicht unbedingt auf Frauen übertragen lassen. Ein großer Unterschied ist zum Beispiel, dass die Leber der Frau anders funktioniert, sie weniger Alkohol verträgt und wohl auch insgesamt suchtgefährdeter ist. Auch das Gehirn von Männern und Frauen funktioniert anders. So denken Frauen, da sie unter dem Einfluss von Östrogenen stehen, zum Beispiel meist sozialer. Auch ein Herzinfarkt wird bei Frauen oft nicht erkannt, weil sie häufig ganz andere Symptome haben als Männer. Die typischen in den linken Arm ausstrahlenden Schmerzen treten bei Frauen oft gar nicht auf, dafür haben sie eventuell Oberbauchschmerzen oder spüren einfach nur extreme Müdigkeit. So kommt es, dass der Herzinfakt bei Frauen oft nicht oder zu spät erkannt wird. Dafür sind Frauen bis zur Menopause durch ihre Hormone besser vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen geschützt als Männer. Erst mit den Wechseljahren, wenn weniger Östrogene vorhanden sind, gleicht sich das Risiko langsam an.
Funktioniert auch das Immunsystem von Männern und Frauen anders?
Das Immunsystem ist bei der Frau vom Zyklus abhängig. In der ersten Hälfte ist es unter dem Einfluss von Östrogenen in der Regel stärker als in der zweiten Hälfte. Und es ist auch wichtig zu wissen, dass Frauen für Geschlechtskrankheiten empfänglicher sind als Männer. Der Penis des Mannes ist durch eine normale Hautschicht, sogenanntes verhorntes Plattenepithel, geschützt. Die Scheide der Frau hingegen besteht aus unverhorntem Plattenepithel und ist dadurch viel anfälliger. Besonders während der Periode ist das Risiko für Infektionen wie z.B. Hepatitis, HIV oder Chlamydien erhöht. Deshalb ist es wichtig, vor allem, wenn man den Partner nicht sicher kennt, sich mit Kondomen zu schützen.
Warum ist Frauen-Gesundheit heute oft noch immer ein Tabu-Thema?
Ich glaube, dafür gibt es verschiedene Gründe. Eine Rolle spielt sicher, dass wie bereits erwähnt viele Forschungen ausschließlich mit Männern durchgeführt wurden und natürlich lange auch die Medizin in männlicher Hand war. Ein Grund könnte auch sein, dass Frauen sich lange Zeit selbst nicht so wichtig genommen haben. Frauen schlucken nach wie vor viel runter und kommen erst zum Arzt, wenn’s gar nicht mehr anders geht. Sie machen viel mit sich selbst aus. Das könnte auch ein ganz wesentlicher Grund dafür sein, dass die Frauengesundheit oft nicht die nötige Beachtung bekommen hat.
Was ist die häufigste Frage, die Sie von Patientinnen gestellt bekommen?
Aus meiner Erfahrung ist es die Frage: “Bin ich gesund?” Die meisten Patientinnen kommen ja zur sogenannten Krebsvorsorge. Sie wollen wissen: Ist alles gut? Bin ich gesund? Ist alles ok? Habe ich keinen Krebs? Das ist definitiv die häufigste Frage.
Gibt es denn einen Weg, um Brust- und Gebärmutterkrebs vorzubeugen?
Wie bei den meisten Krebsarten ist auch hier natürlich eine Prophylaxe möglich. Gut ist Bewegung, Bewegung, Bewegung! Das scheint fast noch wichtiger zu sein als Ernährung, die natürlich auch eine Rolle spielt – besonders bei Brustkrebs. Hier kann zum Beispiel eine fettreiche, fleischreiche Ernährung sowie starker Alkoholkonsum ein Risikofaktor sein. Beim Gebärmutterhalskrebs ist die häufigste Ursache die Erkrankung mit dem Humanen Papillomavirus. Hier bieten Kondome einen gewissen Schutz, wobei aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Viren nicht nur durch Sex, sondern auch auf anderem Weg z.B. beim Schwimmbadbesuch übertragen werden können. Gebärmutterhalskrebs ist weltweit der Krebs Nummer 1 der Frau. Nur in der westlichen Welt, wo wir seit den 70er Jahren die Krebsvorsorge haben, ist er so zurückgegangen, dass Brustkrebs hier die Nummer 1 ist. Wenn ich also regelmäßig zur Vorsorge gehe, kann ich Gebärmutterhalskrebs mit großer Wahrscheinlichkeit vermeiden. Komplizierter ist es beim Brustkrebs. Wichtig ist hier neben der Vorsorge beim Frauenarzt, die Brust auch selbst regelmäßig nach Auffälligkeiten abzutasten. Es gibt aber Brustkrebsarten, die man nicht ertastet, sondern nur im Ultraschal oder auf der Mammographie sieht. Da ist die Vorsorge also viel komplexer und schwieriger.
Was ist der größte Irrglaube, was die weibliche Sexualität anbelangt?
Ein häufiger Irrglauben ist, dass eine Frau immer einen Orgasmus haben muss beim Sex. Da sind Frauen schon zutiefst verunsichert. Es ist auch ok, mal keine Lust zu haben. Das heißt nicht, dass man psychisch krank ist oder irgendwelche Probleme hat. Das wird leider in der Presse oft ein bisschen anders dargestellt. Sexualität wird da manchmal auch ein wenig überbewertet. Es kann wunderschön sein, aber es darf im Leben auch bei jungen Frauen Phasen geben, wo man mal keine Lust hat, obwohl man den Partner liebt und obwohl man selbst keine großen Probleme hat. Außerdem gibt es nach wie vor diesen freudschen Irrglauben, der vaginale sei der bessere, der erwachsene Orgasmus. Der klitorale Orgasmus hingegen sei der unreife, minderwertige. Das stimmt natürlich nicht. Das hängt alles zusammen, so dass man diese Trennung heute gar nicht mehr macht.
Sexualität ist eine lebenslange Entdeckungsreise des eigenen Körpers, der eigenen Psyche, des Körpers des Partners und der Partnerschaft an sich.
Wie kommt Frau am besten zum Höhepunkt?
Was wirklich hilft, ist sich selbst als Frau anzunehmen, sich zu lieben so wie man ist, und sich selbst zu akzeptieren. Das ist das, was am wichtigsten ist. Alles andere muss jede Frau für sich herausfinden. Ist es der G-Punkt, der mich erregt, ist es eher klitoral? Das ist so individuell verschieden, dass es einfach kein Patentrezept gibt. Zudem ist der Höhepunkt bei jeder Frau letztendlich Tagesform abhängig. Es geht nicht jeden Tag auf Knopfdruck, so wie man vielleicht auch nicht jeden Tag Lust auf Sahnetorte hat. Ein wichtiger Punkt ist auch, was Sexualität angeht, zu sich selbst und zum Partner ehrlich zu sein und zu sagen, das gefällt mir oder das gefällt mir nicht. Sexualität ist eine lebenslange Entdeckungsreise des eigenen Körpers, der eigenen Psyche, des Körpers des Partners und der Partnerschaft an sich. Dazu gehört auch der liebevolle Umgang miteinander, das Streicheln und das Berühren. Auch einen seelischen Einklang zu haben, kann eine Art von Intimität sein.
Wie hängen seelische Gesundheit und Sexualität zusammen?
Sexualität ist natürlich gut für Körper und Seele. Es entspannt, ist ein Herz-Kreislauf-Training, regt die Ausschüttung von Endorphinen an und wirkt somit auch antidepressiv. Wenn es einer Frau seelisch nicht gut geht, wenn sie vielleicht gerade andere Sorgen hat, mit den Kindern, mit den eigenen Eltern, mit dem Job oder sie sich einfach gerade nicht gut fühlt, dann ist natürlich Sexualität das, wozu sie zunächst am wenigsten Lust hat. Ich denke, das löst die Natur ganz gut, denn in solchen Phasen, in denen man größere Probleme hat, ist vielleicht auch kein Platz für eine Schwangerschaft und ein Kind da. Ich rate jeder Frau in dieser Situation, mal in sich reinzuhören. Was ist die Ursache? Liegt’s am Partner, liegt’s an mir, liegt’s am aktuellen Stress? Auch mit kleinen Kindern haben die meisten Frauen keine Lust auf Sex. Das hat die Natur ebenfalls geschickt gemacht, so dass man sich erstmal um die Kinder, die da sind, kümmert, bevor man weitere Nachkommen zeugt. Also, ich kenne keine Frau, die im ersten Jahr nach der Geburt wirklich sagt, sie hat richtig Lust auf Sex. Das kommt dann wieder mit der Zeit, aber wenn man zunächst Tag und Nacht mit dem Baby beschäftigt ist, dann ist die Lust in der Regel erstmal nicht da.
Viele Frauen leiden auch unter Beschwerden durch die Periode. Wie kommen wir besser durch diese Zeit?
Das wichtigste ist, erstmal die Periode anzunehmen, darauf stolz zu sein. Die Periode ist schließlich ein Zeichen der Fruchtbarkeit. Das ist ja etwas Tolles. In manchen Kulturen wird es richtig gefeiert, wenn die erste Periode aufkommt. Also, wenn wir positiv auf die Periode reagieren, ist das schon mal die halbe Miete, dass es einem besser geht. Der zweite Punkt ist, zu akzeptieren, dass ich im Zyklus verschiedene Phasen habe und während der Periode vielleicht eher Rückzug und Ruhe brauche. Gegen die Regelschmerzen kann es oft schon helfen, eine Wärmflasche auf den Bauch zu legen und sich auszuruhen. Es können zum Beispiel auch Magnesium oder B-Vitamine hilfreich sein. Auch Yoga-Übungen, Akkupunktur oder Ayurveda können die Schmerzen lindern. Die Pille ist oft ebenfalls ein wirksames Mittel. Auch ist es gut, sich in der Zeit vitaminreich zu ernähren, kein Junk Food zu essen und viel zu trinken. Am effektivsten und sichersten wirkt aber aus meiner Erfahrung neben der seelischen Einstellung der Mönchspfeffer. Diesen muss man in der Regel ein Vierteljahr oder manchmal sogar ein halbes Jahr durchgängig nehmen, damit er seine Wirkung entfaltet, aber bei meinen Patientinnen habe ich damit sehr gute Erfahrungen gemacht.
Warum hat unser Beckenboden mehr Beachtung verdient?
Der Beckenboden wird oft als eigenes Organ bezeichnet und ist extrem wichtig, da er quasi unseren ganzen Körper, den Bauchinhalt, den Inhalt unseres Brustkorb, nach unten hält. Er besteht aus drei verschiedenen Schichten aus Muskulatur und Bindegewebe. Die meisten Frauen wissen trotzdem gar nicht, wo der Beckenboden ist. Wenn ich meinen Patientinnen sage: “Spannen Sie den Beckenboden an!”, dann wissen sie oft nicht, was damit gemeint ist. Es gibt ja auch im Fitnessstudio kein Gerät für den Beckenboden, dabei ist es extrem wichtig, den Beckenboden immer wieder zu trainieren, damit weniger Schwächen auftreten. Dafür gibt es ganz einfache Übungen. Wenn man zum Beispiel versucht, das Schambein zum Nabel zu ziehen, dann merkt man schon, dass sich der Beckenboden anspannt. Oder man stellt sich vor, man transportiert mit der Scheide kleine Kügelchen wie mit einem Aufzug nach oben. Dabei werden gleich alle verschiedenen Areale des Beckenbodens trainiert. Das sind Übungen, die kann man praktisch überall am Tag einbauen, wenn man an der Kasse steht, beim Zähneputzen oder im Büro. Wenn ich den Beckenboden regelmäßig trainiere, dann habe ich ein geringeres Risiko, dass er schwächer wird. Hauptrisikofaktoren für eine Beckenbodenschwäche sind Schwangerschaft und Geburt, aber auch Übergewicht sowie Verstopfung oder Bronchitis mit viel Husten, wo ich immer wieder einen Druck im Bauch aufbaue, der nach unten geht. Auswirkungen einer Beckenbodenschwäche können sein, dass die Frauen Urin verlieren, dass die Gebärmutter nach unten sinkt, dass Schmerzen auftreten und dass auch die Sexualität nicht mehr so gefühlvoll ist. Den Beckenboden zu trainieren, ist also auch ein super Training für mehr Spaß bei der Sexualität.
Bei welchen Alarmsignalen sollten wir zum Frauenarzt gehen?
Bei Schmerzen, Ausfluss, unregelmäßigen Blutungen mit Zwischenblutungen, Veränderungen im Intimbereich und Gewichtsabnahme in Kombination mit einem der genannten Symptome rate ich auf jeden Fall zu einem Besuch beim Frauenarzt. Wer einen Knoten in der Brust ertastet, sollte das ebenfalls ärztlich abklären lassen. Auch die Intuition ist oft ein guter Berater. Wenn man das Gefühl hat, dass irgendetwas nicht stimmt, dann sollte man drauf hören und lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig zum Frauenarzt gehen.
ZUM NACHLESEN…
Ihr wollt noch mehr über den weiblichen Körper wissen? Dann bietet Euch das neue Buch von Dr. Verena Breitenbach dafür die beste Gelegenheit. Mit „Ganz intim“ (TRIAS Verlag) möchte die Gynäkologin bei Frauen ein umfassendes Verständnis für ihren Körper wecken. Es ist ihr wichtig, dass Frauen zu sich finden und ihren Körper kennen. Nur so können sie auch auf seine Signale hören und ein positives Körpergefühl entwickeln. Neben einer bewussten Lebensführung mit gesunder Ernährung und Sport rät Dr. Breitenbach Frauen zu mehr Achtsamkeit. Frauen verfügen über ein komplexes Netz aus Organen, hormonellen Kreisläufen und Reaktions- und Regulationssystemen, so die Autorin. „Diese zu kennen und zu wissen, wie sie funktionieren, hilft Ihnen“, appelliert Breitenbach an ihre Leserinnen. Die Gynäkologin gibt ihre Erfahrung weiter, damit Frauen sie für sich nutzen können, egal ob es um Sexualitätsprobleme, Zyklusbeschwerden, Ängste, Beziehungsprobleme oder Schwangerschaft geht. Prädikat: besonders wertvoll – auch für Frauen, die eigentlich schon alles wissen …
Fotos: © Simone Schneider, TRIAS Verlag; © Pexels.com; © Unspalsh.com;